

WITZENHAUSEN. Die letzte Begegnung mit Witzenhausen ist beim SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel schon lange her und gehört leider nicht zu seinen guten Erinnerungen. Gabriel verbrachte seine Studienzeit in Göttingen und bewarb sich mit drei Freunden um eine frei werdende Wohnung.
Der Vermieter wohnte in Witzenhausen, erzählt Gabriel bei seinem Besuch im Witzenhauser Gastwerk. Vor dem mussten wir antanzen und uns in Reihe aufstellen. Dann wurden wir examiniert und haben die Wohnung natürlich nicht bekommen, plaudert der SPD-Chef lachend vor seinen zahlreichen Zuhörern. Wahrscheinlich konnte sich der Vermieter nicht vor-stellen, dass vier Männer in der Lage sind, eine Wohnung sauber zu halten.
Auf Einladung des Bundestagsabgeordneten Michael Roth ist Sigmar Gabriel aber an diesem Tag nicht in die Kirschenstadt gekommen, um sich wieder nach einer neuen Bleibe umzuschauen, sondern um die Arbeit der Werraland-Werkstätten und von Aufwind kennen zu lernen. In der Integrierten Betriebsstätte wird Menschen mit geistiger oder seelischer Behinderung ein Arbeits- und Bildungsplatz geboten, erläutern die beiden Geschäftsführer Gerd Hoßbach und Matthäus Mihm dem SPD-Vorsitzenden. Dabei soll die Werkstatt nicht einfach nur den Tag der Mitarbeiter strukturieren, sondern sie versteht sich als ernstzunehmender Dienstleister im nord-hessischen Wirtschaftsraum. Wir sehen uns als Einrichtung, bei der behinderte Menschen nicht abseits in kleinen Werkstätten arbeiten, sondern im realen Leben stehen. Das gilt insbesondere für unsere Gastronomiebetriebe, wie etwa das Mittagsrestaurant ,Gastwerk, bei dem Behinderte und Nichtbehinderte zusammenkommen, so Mihm. Unsere Initiativen sind auch Antwort auf den demographischen Wandel in unserer Region, indem wir dafür sorgen, dass bestimmte Dienstleistungen in einer Gesellschaft mit weniger Jüngeren überhaupt noch angeboten werden können. Kritik übten die beiden Geschäftsführer an der immer wieder laut werdenden Forderung, ihnen den Status der Gemeinnützigkeit zu entziehen, da sie wirtschaftlichen Gewinn machten. Man kann nicht auf der einen Seite Behindertenwerkstätten fördern wollen, und wenn sie dann erfolgreich sind, diese Förderung wieder entziehen, findet Hoßbach.
Bei der anschließenden Mittagspause mit Sigmar Gabriel hatten die zahlreichen Besucher des Gastwerks Gelegenheit, mit dem SPD-Chef zu sprechen. Bei der le-bendigen Diskussion sparte Gabriel, sichtlich in Wahlkampflaune, nicht mit Kritik an Bundeskanzlerin Merkel: Die Kanzlerin kümmert sich viel um Europa. Da hat sie ers-tens nicht viel Erfolg und es führt zweitens dazu, dass sich bei anderen Themen gar nichts tut: Die Energiewende ist stümperhaft vorbereitet, gegen Altersarmut wird nichts unternommen, der Mindestlohn kommt nicht und die Mietpreisbremse der CDU ist so schlecht, dass sie praktisch unbrauchbar ist, so Gabriel. Aber auch mit Kritik an zu viel Unruhe in der SPD ging er offen um: Ja, die SPD ist eine Partei, in der noch offen diskutiert und gestritten wird. Aber zum Glück ist das so. Denn eine stumme Partei ist vor allem eines: Sie ist eine dumme Partei, so der Sozialdemokrat unter dem Beifall seiner Zuhörer.