
Im Lispenhäuser Bürgerzentrum mussten noch Stühle und Tische herangeholt werden, um allen Gästen einen Platz an der österlich geschmückten Kaffeetafel zu bieten. Der heimische Bundestagsabgeordnete Michael Roth hatte zu einem weiteren "Kaffeeklatsch" eingeladen. Und das Interesse an seiner Gesprächspartnerin Heidemarie Wieczorek-Zeul war entsprechend groß. Unter dem Motto "70 Jahre – und kein bisschen leise" sprach der Abgeordnete mit der prominenten SPD-Politikerin, die kürzlich ihren runden Geburtstag feierte.
"Ich habe das, was ich meinen Schülern bereits als Lehrerin vermittelt habe, stets zu befolgen versucht: Der Kopf ist zum Denken, und nicht zum Abnicken da", sagte die langjährige Bundesentwicklungsministerin. Sie habe beharrlich geackert und auch mal genervt, um konkret Gutes für die Menschen zu bewirken. Trotz manchen Streits in der Sache habe sie Gerhard Schröders Verlässlichkeit immer geschätzt. "Und ich bin stolz darauf, seinem Kabinett angehört zu haben, das den Irak-Krieg abgelehnt hat, während die damalige Oppositionsführerin Angela Merkel uns dafür gegenüber dem US-Präsidenten George Bush offen kritisiert hat", so die "Rote Heidi". An Willy Brandt, der zu ihren frühen Förderern zählte, habe sie seinen menschlichen Umgang und sein Denken in langen Linien hoch geschätzt.
Während des humorvollen Gesprächs bei Kaffee und Kuchen, den das Team der SPD Lispenhausen selbst gebacken hatte, sprach Wieczorek-Zeul aber auch über eigene Irrtümer und Fehleinschätzungen. "Was die Rolle des Militärs anbelangt, habe ich meine Position geändert. Um schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhindern, ist bisweilen der Einsatz von Soldaten unverzichtbar", bekannte die Abgeordnete, die seit 1979 erst dem Europäischen Parlament und dann dem Bundestag ununterbrochen angehört. Doch mit Ablauf dieser Wahlperiode ist für die SPD-Politikerin im Herbst Schluss. Auf eine erneute Kandidatur habe sie aus freien Stücken verzichtet.
In der kurzweiligen Runde kam auch Persönliches nicht zu kurz. So gestand "HWZ", zum Entspannen gerne ins Kino oder Theater zu gehen. An Männern nerve sie immer wieder deren Unvermögen, "lebenspraktisch" zu handeln. Und beim Essen dürften Salz- und Pfefferstreuer nicht fehlen. "Ich mag es eben gerne scharf", so Wieczorek-Zeul lachend. Und an den Nordhessen schätze die Wiesbadenerin vor allem deren Bodenständigkeit und Verlässlichkeit. "Der rege Zuspruch an meinem Veranstaltungsformat zeigt mir, dass man durchaus auch unterhaltsam und humorvoll über Politik diskutieren kann, ohne auf Tiefgang zu verzichten", betonte Gastgeber Roth.
Schon am 20. April geht es weiter. Dann ist Holk Freytag, Intendant der Bad Hersfelder Festspiele, Gast von Roths nächstem Kaffeeklatsch, diesmal im Bad Hersfelder Bürgerhaus Hohe Luft. Die Überschrift lautet: "Wozu das ganze Theater?" Mal sehen, was Holk Freytag dazu zu berichten weiß.